Nur noch ein Jahr, Februar 2013
Immer noch geheilt, April 2011
Vom Krebs geheilt, Mai 2010
Weihnachtsgrüße 2009
Abschlussbericht: 15. Juli 2009
Reportage im Evangeliumsrundfunk
14. November 2008
Liebe Kollegen und Studenten, Freunde und Besucher!
Gestern, am 13. November 2008 habe ich die endgültige Diagnose bekommen: Ich habe einen großen inoperablen bösartigen Tumor im HNO-Bereich (Nasopharynxcarcinom). Mit der Nachricht fertig zu werden ist eine meiner größten Herausforderungen.
Sie erreicht mich mitten im Leben. Das Versprechen von Jesus aus dem Evangelium des Johannes „Ich bin gekommen, um das Leben in seiner ganzen Fülle zu bringen“, charakterisiert meine vergangene Zeit am besten. Als Auswertung meiner 61 Jahre behaupte ich, man kann sich nicht mehr vom Leben wünschen, als was ich bekommen habe. Ich betrachte mich als überaus privilegiert und staune oft, warum gerade mich Gott dermaßen verwöhnt hat.
Beruflich empfinde ich mich auf dem Höhepunkt meiner Karriere. In diesem Jahr habe ich zwei Lehrbücher veröffentlicht und mehrere Projekte angestoßen. Vorlesungen zu halten und Studenten zu betreuen wird zwar mit zunehmendem Alter immer mehr erschöpfend, aber es macht auch zunehmend Spaß – besser gesagt, es bringt ein zunehmendes Maß an Erfüllung. Ich bin mir zwar dessen bewusst, dass nicht alle (Studenten und Kollegen) mit meiner Art zurechtkommen, einige sogar etwas gegen mich haben. Aber die überdurchschnittlich große Anzahl meiner Diplomanden und die immer mehr werdenden Gespräche mit Studenten persönlicher Art (d.h. über den Studienstoff hinaus) zeigt mir, dass es doch eine ganze Reihe gibt, deren Vertrauen ich gewinnen kann und für die ich mehr als bloß einer der Professoren bin. Dies ist es, was mir zwar immer mehr Kraft kostet, aber auch Erfüllung bringt (Arbeitspsychologen bezeichnen das mit dem Begriff Flow).
Wir leben in einem kleinen Ort, im geräumigen Haus mit großem Garten, von meinem Arbeitsplatz in Berlin gut zu erreichen mit dem Auto und mit der Bahn. Finanziell sind wir abgesichert. Selbst wenn die Lebenshaltungskosten ständig steigen und seit der Euro-Einführung meine Bezüge als die eines Berliner Beamten stagnieren, haben wir immer noch deutlich mehr als was wir brauchen. Durch unsere Verbindungen in aller Welt können wir von unserem Überfluss dorthin und gerne abgeben, wo die Hilfe auch ankommt – auch eine Art von Lebensqualität.
Ähnlich sieht es in meiner Kirchengemeinde aus. Sie gehört zu den am stärksten wachsenden in Deutschland. Es gibt immer mehr Menschen auch in meinem Wohnumfeld, die auf der Suche nach verlässlichen Vertrauensbeziehungen sind. Das erleben sie zuerst unter Menschen und dann auch mit Gott. Dass ich daran einen gewissen Anteil habe, nehme ich nicht als meine großartige Leistung wahr, sondern als ein Geschenk Gottes an mich und an die Menschen um mich herum. Zwar gibt es auch in der Gemeinde Höhen und Tiefen, kontroverse Ansichten und Widersprüche, aber es geht offensichtlich vorwärts – ich stehe mitten im Leben.
Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit steht jedoch meine Familie. Ich bin seit 23 Jahren mit der wunderbarsten Frau verheiratet, die es für mich nur geben kann. Auch wenn unsere Ehe nicht immer einfach war und wir auch durch Tiefen gegangen sind, ist die Liebe zwischen uns stetig gewachsen. Wo wir heute stehen, dafür können uns frisch Verheiratete nur beneiden. Dass wir einander durchgehend treu geblieben sind, ist nicht unsere eigene Heldentat, sondern Gottes besondere Gnade an uns. Das Ergebnis lässt sich sehen – besser gesagt, leben.
Für unsere vier Kinder können wir auch nur unsere Dankbarkeit hervorheben. Unsere beiden Töchter studieren (die eine schreibt zurzeit in Toronto ihre Doktorarbeit in Medizin, die andere hat gerade in Freiburg mit Psychologie angefangen), die zwei Jungs gehen noch ins Gymnasium; der ältere steht vor der Abitur, der jüngere ist 15. Wir alle sechs lieben es, zusammen Ski zu fahren oder Urlaub zu machen, Nobody Is Perfect zu spielen oder zu musizieren. Wir lernen zusammen für das Abitur oder besprechen Forschungsstrategien für die Doktorarbeit, Gruppenkonstellation in der Klasse oder wie man mit Sexualität in der Pubertät fertig wird. Es ist nicht verwunderlich, dass die vier Kinder eine nicht minder schwere Zeit haben als meine Frau und ich, die Nachricht von meiner Erkrankung zu verarbeiten.
Obwohl – es ist für mich bei weitem nicht so schwer, wie Außenstehende das meinen würden und wie ich das zuvor angenommen habe. Die Vorstellung, bald zu Gott zu kommen und die Ewigkeit mit Ihm zu verbringen, ist wesentlich attraktiver als durch Radio- und Chemotherapie zu gehen und um mein Leben zu kämpfen. Das muss ich etwas ausführlicher erläutern.
Diejenigen Studenten, die bei mir schon Diplomandenseminar oder andere Fächer mit „soft skills“ gemacht haben, wissen, wie sehr ich für ein zielorientiertes Vorgehen (in der Diplomarbeit, bei der Ausarbeitung eines studentischen Vortrags, aber auch im ganzen Studium, für das ganze Leben) plädiere. Ihnen habe ich auch erzählt, dass ich, nachdem ich zum Glauben gekommen war, in einer christlichen Studentenbewegung angeleitet wurde, mein Lebensziel mit Gott zu besprechen und es schriftlich auszuformulieren. Dass ich es damals erfasst und festgehalten habe, hat mir in mehreren, auch wichtigen Entscheidungen meines Lebens enorm geholfen. Im Diplomandenseminar habe ich nicht verraten, wie dieses Lebensziel heißt, weil es etwas persönlich ist, in meiner jetzigen Situation kann ich aber mein Geheimnis lüften.
Bevor ich von einem überzeugen Atheisten zum bekennenden Christen geworden bin, ging ich durch eine sehr schwere Zeit. Die Depression hat sich primär in Herzbeschwerden geäußert. Ich bin von einem Kardiologen zum anderen gerannt und wollte ihnen nicht glauben, dass ich kerngesund bin – ich habe nur auf meine Herzrhythmusstörungen geachtet und meine Nächte in Panik verbracht, in welchem Moment wohl mein Herz stehen bleiben würde. Diese Todesangsterfahrung (ich denke, sie ist ganz normal und natürlich) hat mich auf die Idee gebracht, dass es vielleicht doch einen Gott geben könnte, der mich dann auch von diesem Schrecken erretten würde. Daraus habe ich dann einige Jahre später mein Lebensziel abgeleitet: Ich möchte mit Gott in einer so engen persönlichen Beziehung (s. gottkennen.com) leben, dass diese sich am Ende meines Lebens stärker erweist als die natürliche Reaktion meines Körpers, die Todesangst.
Jahrzehntelang ging es mir so extrem gut, dass ich unmöglich wissen konnte, wie weit oder nah ich diesem Lebensziel gekommen bin. Ich war sogar ein Stück besorgt: Wenn es mir so gut geht, ist es leicht, mich zu Gott zu bekennen; wie wird es aber in schweren Zeiten sein?
Die Antwort habe ich vor 6 Jahren erfahren, als ich kurz vor einem Herzinfarkt stand und einen Stent eingesetzt bekommen habe. Den Eingriff habe ich wach, live am Monitor verfolgen können. Es war mir bewusst, dass die Operation durchaus schief gehen kann, dass die Arterie bei der Erweiterung platzen kann. Zu meinem eigenen Erstaunen war ich aber völlig frei von jeder Art von Todesangst, und ich habe am Operationstisch Gottes Nähe noch viel intensiver erfahren als zu meinen beneidenswerten Zeiten.
Diese Erfahrung hilft mir jetzt auch, dem Tod entgegen zu sehen. Wenn Gott sich entscheiden würde, mich gleich oder bald zu sich zu holen, wäre ich derjenige, der am wenigsten was dagegen hätte.
Ich bin aber nicht allein. Ich habe meine Familie, meine Freunde, Leute in meiner Kirchengemeinde, Kollegen, Studenten, die mich – zwar in verschiedenem Maße, aber doch – noch brauchen. So weit ich Gott in den letzten 32 Jahren kennen gelernt und seine Denkweise nachvollzogen habe, spricht alles dafür, dass er mich noch erhalten möchte – deswegen bin ich bereit, durch die Strapazen der Therapie zu gehen und deswegen bitte ich jeden, der das kann, für meine Heilung (ob durch Wunder oder durch die Therapie) zu beten. Ich glaube daran, dass Gott mich mit einem Fingerschnipsen gesund machen kann – das tut er in unseren Breitengraden mit Hightech-Medizin nicht so häufig wie in anderen Teilen der Welt, wo die Menschen mehr auf sein Eingreifen angewiesen sind. Ob er das bei mir auch will und wird? Soweit ich ihn kenne (und das ist nicht wenig), schon. Davon gehe ich aus, daran glaube ich und dafür werde ich kämpfen.
Ich weiß aber auch, dass „seine Gedanken höher sind als meine Gedanken“ (wie es im Alten Testament, im Buch von Jesaja steht). So eng ich mit ihm auch lebe und so viel ich von ihm schon erfahren habe, blicke ich bei vielem, sehr vielem nicht durch. Daher bleibt mir nichts anderes übrig, als auch meine erwartete Heilung in seine Hand zu legen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er vertrauenswürdig ist: Er liebt mich, meine Familie, meine Freunde, und er hat alle Macht, das Beste für uns alle zu bewirken. Allerdings, was das Beste ist, dafür haben wir Menschen (leider) ganz andere Maßstäbe als Gott. Oft habe ich erlebt, dass er meine Gebete (scheinbar) nicht erhört hat, sondern erst später sich herausgestellt hat, wie viel besser seine Lösung war als was ich von ihm erbeten habe! Zugegeben, es gibt Angelegenheiten, wo dies (noch) nicht so offensichtlich ist. Aber er hat mir genug vom Leben geschenkt, genug Vertrauen in mir aufgebaut, dass ich ihm auch dort vollen Glauben schenken kann.
So auch mit der Diagnose. Sie ist nicht schön, sie ist sogar ausgesprochen hässlich. Das mir bevorstehende Leiden der Chemotherapie macht mir Angst. Ich kann sie aber Gott abgeben, mich ihm anvertrauen und mit Zuversicht in die Zukunft sehen. Und das ist mehr Wert als alles andere zusammen, was ich in diesem Leben schon bekommen habe.