Anfang: 13. November 2008

Abschlussbericht vom 15. Juli 2009

Liebe Freunde,

gestern bin ich die letzten äußeren Spuren meiner Krankheit losgeworden; aus diesem Anlass möchte ich einen Abschlussbericht geben.

Das letzte Loch ist also zu: Nachdem vor drei Wochen mein Port (über den ich die Chemotherapie direkt in eine dicke Vene bekommen habe, aber zu den schlimmsten Zeiten der Therapie auch künstlich ernährt wurde) entfernt wurde (unter Vollnarkose: Ich musste für zwei Tage in die Klinik), hat man auch die PEG, meinen Magenschlauch beseitigt. (Die Voraussetzung dafür war, dass ich mich drei Monate lang auf natürlichem Wege ernähre und dabei nicht abnehme.) Es war deutlich weniger aufwändig als ich erwartet hatte: Ich dachte, meine Bauchdecke wird in drei Schichten genäht, wieder wochenlanger Verbandwechsel wie nach der Portexplantation, usw. Der Schlauch wurde aber einfach abgeschnitten, die innere Halteplatte in den Magen gestoßen (sie soll auf natürlichem Wege verschwinden) und fertig. Morgen kann ich schwimmen gehen – eine erfreuliche Aussicht bei dieser Hitze.

Die inneren Spuren sind noch nicht ganz so weit, selbst wenn ich auch da nicht klagen kann. Ich esse schon fast alles, obwohl ich viele Geschmäcke noch nicht als angenehm empfinde – das Essen ist nach wie vor eher Arbeit als Genuss. Meine Kondition ist noch längst nicht die alte, wenn ich auch täglich 3-4 Kilometer in ziemlichem Tempo mit dem Hund und Nordic-Walking-Stöcken laufe. Meine Sportmöglichkeiten (Radfahren, usw.) werden leider durch die Nase eingeschränkt, durch die ich immer noch nicht genügend Luft bekomme. Ich wache manchmal auch in der Nacht auf, dass sie nicht durchgeht. Dann muss ich schnäuzen – glücklicherweise wird schon genügend Flüssigkeit produziert, mein Mund ist auch nicht mehr so trocken wie früher.

Generell, gerade wenn ich zurückblicke, wie es mir vor einiger Zeit ging, bin ich sehr sehr dankbar dafür, dass ich so weit bin. Aber nicht nur gesundheitlich, auch seelisch geht es mir um Größenordnungen besser. Nicht nur als während der Krankheit, sondern selbst als davor. Ich habe jetzt, nach all diesen Belastungen und nach der Todesnähe, einen ganz anderen Blick auf das Leben. Ich kann jeden Tag, jeden Moment dankbar als Geschenk wahr- und annehmen. Wenn ich mit dem Hund spazieren laufe, genieße ich die Wolken, die Bäume (wir wohnen neben einem schönen Schlosspark und See), die Luft viel bewusster als je zuvor. Geschweige denn meine Familie. Die gemeinsam erlebten Strapazen haben uns enorm zusammengeschmiedet. Unsere Ehe ist besser als wovon wir je hätten träumen können, und meine Beziehung zu unseren vier Kindern (zwischen 16 und 22) ist hervorragend. Ich bin jede Menge Ansichten, Überzeugungen und Ernsthaftigkeiten losgeworden, die mir früher so wichtig erschienen und jetzt belanglos sind. Das ist eine Befreiung für mich und für die ganze Familie.

Aber das Wesentliche, dass meine Beziehung zu Gott viel enger geworden ist. Meine Abhängigkeit von ihm war mir schon zu Anfang meiner Erkrankung voll bewusst. Ich habe Seine Hilfe sehr deutlich während der Therapie erfahren, um da durchzukommen. Wo es mir aber am schlechtesten ging, habe ich Ihn und Sein Eingreifen stellenweise sehr vermisst. Jetzt nachträglich geht es mir aber so wie in der bekannten Geschichte Spuren im Sand: Ich sehe, wie er mich durchgetragen hat und in den kritischsten Momenten, wo es scheinbar nicht mehr weiterging, immer Menschen vorbeigeschickt hat, die mir über die Krise hinweg geholfen haben. In erster Linie war das meine Frau, die mich mit einer unglaublichen Hingabe gepflegt hat: Sie hat einen Teil ihrer Arbeit in der Praxis und ihr ganzes soziales Engagement aufgegeben, um mir zur Seite zu stehen. Sie hat mich sieben Wochen lang jeden Tag in der Klinik besucht. Als ich wieder zu Hause war, ist sie oft in der Nacht aufgestanden, um mir zu helfen, wo ich in Panik gefallen bin oder von schlimmen Gedanken gequält wurde.

Aber das waren auch Leute aus unserer Kirchengemeinde, die immer bereit waren, mich zum Arzt zu fahren, für ein seelsorgerisches Gespräch vorbeizukommen oder für mich zu beten. Es waren auch zahlreiche Freunde von überall in der Welt, die diese Seiten gelesen und sich per Email oder Telefon zurückgemeldet haben, dass sie für meine Heilung beten. Das tat auch unsere Gemeinde, und Gott hat diese Gebete erhört. Es ist meine Überzeugung, dass in meiner Heilung der gemeinschaftliche Glaube aller unserer Freunde eine wesentliche Rolle gespielt hat. Ich möchte auch an dieser Stelle Danke dafür sagen.

Das taten wir auch in unserem Radiointerview, das im August ausgestrahlt wird. Die Vorankündigung vom 13.7. kann nachträglich angehört werden kann: http://www.erf.de/index.php?content_item=4749&node=1104

Die Geschichte ist allerdings noch nicht hundertprozentig ausgestanden: Medizinisch bin ich geheilt, wenn ich fünf Jahre lang krebsfrei bin. Dazu fehlen noch vier und halb.

Außerdem möchte ich auch meine Nase repariert bekommen, um wieder richtig atmen zu können. Zu diesem Zweck wird im Dezember noch ein MRT gemacht, und wenn wieder kein Tumor erkennbar ist, werde ich im Januar oder Februar operiert. Neben der ursprünglich geplanten Operation (Nasenscheidewand begradigen, bei der der Tumor entdeckt wurde) werden auch die Verwachsungen in der Nase entfernt. So spät, weil das durch die Bestrahlung belastete Gewebe im HNO-Bereich (ich habe die maximal mögliche Strahlenmenge bekommen) schlechte Wundenheilung aufweist: Je später nach der Therapie die Op stattfindet, desto besser sind die Chancen für die Komplikationsfreiheit. Also, die Gebete werden noch weiter gebraucht.

Arbeit? Ich weiß es noch nicht ganz genau. Einerseits wird man – laut meiner Onkologin – nach so einer Therapie anderthalb Jahre krankgeschrieben. Andererseits merke ich schon, dass ich meine Arbeit vermisse. Im kommenden Wintersemester werde ich sicherlich noch keine Vorlesungen halten können, aber vielleicht im nächsten Sommer. Vielleicht nur eine kleinere Veranstaltung … aber ich freue mich schon darauf.

So wie ich mich auch auf unsere Tochter Esther freue, die in einigen Wochen von ihrem Jahresaufenthalt aus Toronto zurückkehrt, um ihr Medizinstudium in Berlin abzuschließen. Judith kommt aus Freiburg nur für die Ferien zurück, sie wird hier im Nachbardorf ein Praktikum für ihr Psychologiestudium durchführen. Thomas, der gerade Abitur gemacht hat, wird auch in Berlin studieren, und zwar Biotechnologie. Philip werden wir aber für ein Jahr verabschieden: Er wird die 11. Klasse in Orlando, Florida absolvieren (wo auch Thomas war, sowie wir alle vor sechs Jahren). Wie gut, dass Ingrid zu Hause bleibt!

Das Beste ist aber, das Gott dabei ist. Er hat mich gesund gemacht und Er wird mich weiter durch die Höhen und Tiefen dieses wunderbaren Lebens führen, das Er mir geschenkt hat. Ihm sei die Ehre dafür.

Andreas Solymosi

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